Mittwoch, 7. August 2013

Übernachtung in der Dorfmitte

J: Mitten in der Nacht fahren wir über wie immer sehr holprige Straßen in ein kleines Dorf ein und parken in der Dorfmitte. Wie selbstverständlich läuft in der Früh eine Frau mit ihrem Kind im Dreirad an uns vorbei- das Bild kennen wir von unseren hundeausführenden englischen Nachbarn aus München –Hallo Mike, Lisa und Oskar- doch hier gibt es einen feinen Unterschied- Das einjährige Mädchen hält einen Stock in der Hand und treibt die Kuh, über Matschsträßchen, zu ihrem Futterplatz für den Tag. Später spielen Annabelle und Anja mit ihrem Fuhrpark an 3-4 rädrigen zum Teil elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Das große elektrische Auto, dass mittels eines großen Steines zum fahren gebracht wird, ist Annabelles Favorit.

Der Sprachunterschied ist nicht das einzige was uns unterscheidet, auch unsere Einstellung zu Tieren und der Wertschätzung von Gegenständen unterscheidet sich massiv. Als das Mädchen anfängt den getunten Trabi des Vaters mit einem Stock zu bearbeiten, weist die Mutter sie zurecht und meint, dass sie doch bitte nicht das Auto sondern lieber die Katzen schlagen soll. Bis hier hin könnte man meinen, wir hätten die Situation missverstanden. Doch als die Mutter eine zweite Katze fängt, da die erste das Weite gesucht hat, damit sie die Katze mit dem Stock verprügeln kann, fällt uns nichts mehr dazu ein.

Interessanterweise sind wir bisher viel mehr mit Frauen in Kontakt gekommen als mit Männern, diese verhalten sich eher schüchtern und im Hintergrund. Eine weitere ältere Frau kommt auf uns zu und lädt uns zu sich in ihren Garten ein. Wir probieren uns von vorne nach hinten durch, es gibt Aprikosen, Tomaten, Gurken, Zucchini, Bohnen, Kürbise, Kartoffeln, Nüsse, runde kleine Zwetschgen und und und. Sie ist so herzlich, zeigt uns ihr ganzes Haus welches mit etlichen Betten in jedem Raum ausgestattet ist, sogar eines über einem Kachelofen für den Winter. Es riecht leicht modrig, es hängen alte Fotos an den Wänden von zumeist verstorbenen Geliebten und es ist wie fast alle Häuser in der Ukraine stark baufällig. Der Holzofen in der Küche wurde beispielsweise abenteuerlich auf Gas umgerüstet und auch die weiteren Gasleitungen führen freihängend durch die Räume. Ihr gesamtes Überleben hängt von dem schwer zu bewirtschaffenden, großen und wie hier üblich langgezogenen Garten ab. Das Gemüse und Obst wird in Gläser eingemacht, um im Winter als Nahrung zu dienen und die Kartoffeln und Zwiebeln lagern im urigen Kartoffelkeller.

Im Allgemeinen ist uns schon aufgefallen, dass die Leute auf der einen Seite arbeitsbedingt, sehr dreckig rumlaufen aber in Wirklichkeit äußerst eitel sind. Fotos dürfen zum Beispiel nur hinter Büschen oder anderen Personen stehend geschossen werden, um ungewollte Speckröllchen zu verstecken.

Der Abschied fällt wie immer schwer, da wir wissen, dass wir diese uns so herzlich empfangenden Menschen, wahrscheinlich nie wieder sehen werden. Es lässt uns auch nachdenklich werden, über unser eigenes Verhalten bzgl Fremden, unvoreingenommener Gastfreundschaft. Wie hätten wir reagiert, wäre ein ausländisches Auto vor unserer Münchner Wohnung gelandet. Hätten wir sie zum Essen reingebeten, unser Bett angeboten, ihnen Geschenke angeboten ohne eine Gegenleistung zu erwarten? Hier kann man noch viel lernen…

Bevor wir in ein neues Land fahren fragen wir uns gegenseitig über unsere Vorurteile, fragen uns wie wir zu diesen gekommen sind und ob wir glauben das diese Klischees erfüllt werden. Die Selbstexploration ist sehr interessant für uns und die Welt wächst Kilometer für Kilometer näher zusammen.

Man muss dazu sagen, wir sind nicht ohne Ängste und wir sind nicht ohne Vorurteile. Vorurteile sind eine Notwendigkeit um in der Welt zu überleben, um das unbekannte zu vereinfachen und um einem in der Weite der Welt ein Gefühl von Sicherheit zu geben.  Wir sind eine junge Familie die versucht ihre Einstellungen zu Dingen zu hinterfragen, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen und herauszufinden um was sich die Welt dreht.








 

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